Verfasst von: Axel Brodehl | 3. August 2011

Stuttgart 21-Schlichter Heiner Geißler: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“

Angeblich handelt es sich um das derzeit größte und bekannteste Mediationsverfahren in Deutschland: die Schlichtung um das Großbauprojekt der Deutsche Bahn AG, das Projekt „Stuttgart 21“. Mit der Bahn, der Stadt, dem Land, der Naturschutzorganisation BUND und anderen Protestbewegungen gibt es so viele Beteiligte wie selten in einem Schlichtungsverfahren.

Aber: es ist gar keine Mediation! Zwar werden wohl zwei der tragenden Säulen einer Mediation erfüllt: die Beteiligten sitzen freiwillig zusammen (auch wenn sich die Bahn möglicherweise durch die Proteste dazu genötigt sieht) und der moderierende Dritte, Herr Dr. Heiner Geißler, ist neutral (wovon mal ausgegangen wird, solange es keinen gegenteiligen Beweis gibt). An der dritten Säule, der Vertraulichkeit, hapert es schon; denn wie in kaum einem anderen Konflikt werden zahlreiche Details der Gespräche nach außen getragen und von den Medien in Windeseile verbreitet. Vertraulichkeit sieht anders aus, verpflichten sich in einer Mediation doch alle Beteiligten, über das Gesagte Stillschweigen zu bewahren. Und dann gilt bei einer Mediation noch das Grundprinzip der Lösungsfindung durch die Beteiligten selbst. Eine Mediation unterscheidet sich gegenüber anderen Schlichtungs- und auch Gerichtsverfahren dadurch, daß die Beteiligten (die sogenannten Medianten) die Lösung selbst erarbeiten und nicht eine Lösung vorgegeben bekommen (beispielsweise durch einen Richter). Der große Vorteil einer Mediation liegt darin, daß solche selbst erarbeiteten Lösungen erfahrungsgemäß wesentlich häufiger dauerhaft halten, weil sie von den Medianten als ihre eigene Lösung akzeptiert werden. Im Gegensatz zu einem Mediator, der die Beteiligten nur führt, bringt Heiner Geißler jedoch seine Vorschläge ein (wie die der aufgegriffenen Kombilösung Kopfbahnhof für den Nahverkehr und unterirdischer Durchgangsbahnhof für den Fernverkehr).

Nein, um eine Mediation handelt es sich bei den Gesprächen um Stuttgart 21 wahrlich nicht. Nichtsdestotrotz wird das Schlichtungsverfahren weiterhin quer durch die Presse als Mediation bezeichnet. Schlimm genug, daß hier ein falsches Bild einer Mediation verbreitet wird.

Jetzt hat sich Herr Geißler zudem auch noch einen doppelten Fauxpas geleistet: erst hat er die Beteiligten am 29.07.2011 gefragt: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ Und dann hat er vier Tage später seinen Fehlgriff auch noch damit zu rechtfertigen versucht, er wisse nicht, daß das ein Zitat von Goebbels sei. Außerdem gäbe es derzeit auch in Syrien einen totalen Krieg und in Stuttgart seien inzwischen rund 100 Personen verletzt inklusive einem Erblindeten. Worte der Entschuldigung für den untragbaren Vergleich findet Herr Geißler in dem Interview im Deutschlandfunk am 02.08.2011 nicht.

Bei einem medienwirksamen Verfahren, das wiederholt als „Mediation“ bezeichnet wird, ohne eine Mediation zu sein, mit einem deutschlandweit bekannten Schlichter, der dermaßen agiert, bleibt aus Sicht der Mediation nur zu hoffen, daß in den Köpfen der Bürger beim Thema Mediation nicht Stuttgart 21 als angebliches Paradebeispiel hängen bleiben wird.

Quelle: Interview von Heiner Geißler im Deutschlandfunk (entscheidende Passage ab 06:15 Minuten)


Antworten

  1. Der Begriff des Totalen Krieges wurde zuerst 1935 von Erich Ludendorff geprägt. Er bezeichnet bei ihm den Vorrang des Krieges vor der Politik.
    Er ist natürlich durchaus populärer durch die Sportpalast Rede von Goebbels geworden.
    Dennoch sollte man nicht verteufeln was man falsch zitiert. In Indien hängen z.B auch noch die Hakenkreuze.

  2. Sehr geehrter Leser,

    es mag sein, daß der Spruch „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ ursprünglich aus einem anderen Mund stammt. Aber spätestens seit der Sportpalastrede ist er in Deutschland belastet mit der Geschichte der Nazis. Man würde auch die von Ihnen genannten Hakenkreuze in Deutschland nicht mehr aufhängen mit der Begründung, ursprünglich stammten sie ja nicht von den Nazis, sondern waren bereits vor langer Zeit Sonnenräder in verschiedenen Kulturen.

    Ich unterstelle Herrn Geißler auch keineswegs nationalsozialistisches Gedankengut. Aber die Verwendung dieser Frage war zumindest nicht glücklich. Viel schlimmer ist jedoch, dass ein 1930 geborener, promovierter Humanist ernsthaft behauptet, die Verwendung durch Goebbels nicht zu kennen, um dann einen Vergleich mit der derzeitigen Situation in Syrien und den in Stuttgart bereits Verletzten zu ziehen.


Hinterlasse einen Kommentar

Kategorien